Der Zinssatz entspricht seit vielen Jahren nicht mehr der Situation auf dem Kapitalmarkt, so dass eine verfassungsgemäße Typisierung der Zinshöhe nicht mehr garantiert ist. Die Zinshöhe und damit die Typisierung eines Lebenssachverhaltes muss sich generell an realitätsgerechten Werten orientieren. Somit sind die Zinsen als steuerliche Nebenleistung zu hoch ermittelt worden.
Eine weitere finanzielle verschärfende Belastung tritt durch die Tatsache ein, dass die Nachzahlungszinsen nicht abzugsfähig sind (§ 10 Nr.2 KStG, § 12 Nr.3 EStG). Auch für die Gewerbesteuer sind diese Zinsen nunmehr als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben zu erfassen (§ 4 Abs.5b EStG). In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass durch das Steueränderungsgesetz 2010 die für den Steuerpflichtigen günstige Rechtsprechung des BFH hinsichtlich der Nichtbesteuerung der Guthabenzinsen (BFH 15.06.2010, Az VII R 33/07) durch den Gesetzgeber verfassungswidrig mit einem Nichtanwendungsgesetz (BT Drucks. 14/3449) kassiert wird und somit weiterhin die verschärfende Belastung bestehen bleibt.
Das Finanzgericht Hamburg (2 K 50/12) ist der Meinung, dass die Anwendung des Zinssatzes von 6% p.a. gem. § 238 Abs.1 AO nicht gegen die Verfassung verstößt. Der BFH teilte diese Rechtsauffassung (IX R 31/13) zunächst.
Nunmehr hat der BFH jedoch in einem Beschluss vom 25.04.2018 zu einem Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung (IX B 21/18; Vorinstanz FG Köln 15 V 3279/17) im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i.V.m. § 238 Abs.1 S.1 AO geäußert. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art.3 Abs.1 GG verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveaus strukturell und nachhaltig verfestigt habe.
Die Entscheidung des I. Senates des BFH vom 20.04.2011 (I R 80/10) ist bereits durch Zeitablauf überholt und fragwürdig geworden weil weiterhin der Zinssatz sich auf dem Kapitalmarkt weit unter 6% manifestiert hat. So werden z.B. Bundeswertpapiere i.d.R. mit 0,5% – 1% verzinst.
Wir halten die Festsetzung der Nachzahlungszinsen mithin für verfassungswidrig.
Beim FG Düsseldorf war ein weiteres Verfahren zu dieser Thematik anhängig. Dieses Verfahren hat sich offensichtlich im Ergebnis zu einem positiven Ausgang für den Kläger entwickelt. Hierzu jedoch gilt der Hinweis, dass sich das Verfahren durch Erledigungserklärung erledigt hat. Dies deutet darauf hin, dass zumindest dem Grunde nach die Finanzverwaltung dem Klagebegehren entsprochen hat. Somit dürfte die Finanzverwaltung selbst bereit sein in besonderen Härtefällen einen sachlichen Ausgleich der Zinsentwicklung vorzunehmen.
Zu beachten ist, dass auch gegen die Entscheidung des FG Münster vom 17.08.2017 (Az. 10 K 2472/16) zur Höhe der Nachzahlungszinsen in den Jahren 2012 bis 2015 beim BFH Revision eingelegt wurde (III R 25/17). Zur Höhe des Zinssatzes in § 238 AO für Zeiträume ab Januar 2012 ist das Verfahren VIII R 36/16 (früheres Az. III R 16/16) beim BFH aufgrund der erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH anhängig (Vorinstanz: FG München 6 K 1144/15). Ein weiteres Verfahren ist anhängig beim X. Senat des BFH (X R 15/17; Vorinstanz FG München 11 K 406/15). In der Zwischenzeit sind sogar weitere Revisionsverfahren anhängig: VIII R 25/17 (früheres Az. III R 15/17, Vorinstanz: FG Baden-Württemberg 6 K 3082/15), VIII R 19/17 (Vorinstanz: Sächsisches FG 5 K 221/16). Darüber hinaus wird die Höhe des Zinssatzes von Nachforderungszinsen zur Gewerbesteuer nun im Rahmen zweier anhängiger Verfahren beim BVerfG (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) überprüft.
Insbesondere ist neben einer möglichen Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes die Frage zu klären, inwieweit sich ein Anspruch auf Erlass von Zinsen bei überlanger Verfahrens-/ Bearbeitungsdauer aufgrund sachlicher Unbilligkeit begründet.